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Vertauschte Rollen – Väter, die zuhause bleiben

Es riecht nach Fisch, als ich mit meiner Schwester Hanna von der Schule nach Hause komme. Ich ziehe Jacke und Schuhe aus, gehe in die Küche. Das Öl in der Pfanne brutzelt. „Und, wie war Schule?“, fragt mein Vater, der am Herd steht und das frittierte Fischfilet wendet. Er trägt eine Brille, die manchmal beim Kochen anläuft. Er hat eine hohe Stirn und Geheimratsecken. Um die Augen bilden sich Fältchen, vor allem wenn er lacht. Hanna und ich decken den Tisch fertig. Gemeinsam essen wir. Meine Mutter ist bei der Arbeit.

Dass mein Vater, Erich Wopfner, mittags für meine Schwester und mich kocht, den Haushalt übernimmt, während meine Mutter arbeitet, ist für mich völlig normal. Ist es aber nicht, wie Statistiken beweisen. In Südtirol nehmen nur 9,8 Prozent der Väter Elternzeit und bleiben dabei meist weniger als drei Monate zuhause. Wie viele Männer in Teilzeit arbeiten, zeigt keine Südtiroler Statistik. In ganz Italien liegt dieser Prozentsatz bei 8,4 Prozent.

Zu denen gehört mein Vater. Seit 2008 arbeitet er als Hausmeister im Gamperheim Meran und hilft dort auch in der Küche mit. Dabei ist er Konditor-Meister und war lange als solcher tätig. Doch sein Berufsweg änderte sich immer wieder. Im Jahr 2001, als ich ein Jahr alt war, entschied er sich, zur Abwechslung nach all den Jahren mit viel Arbeit bei mir zuhause zu bleiben. Meine Mutter stieg nach dem Mutter-schaftsurlaub wieder in die Berufswelt ein. Beide wollten die Kindererziehung nicht einer Fremdbetreuung übergeben.

Gemeinsam blättern mein Vater und ich mein schweres Kinderalbum durch. Meine Mutter kommt hinzu und schwärmt immer wieder „Na süß!“. „Die Zeit ist so schnell vergangen, dass man sich gar nicht mehr gut daran erinnert“, findet mein Vater.

Für Christian Fink liegt diese Zeit nicht so weit zurück. Gemeinsam gehen wir zu einem Spielplatz in Haslach, Bozen. Es liegt noch Schnee, der unter den Schritten knirscht. Christian trägt den grünen Rucksack von Simon, seinem Sohn, der immer wieder ein Stück voraus läuft. Mittlerweile ist er fünfeinhalb Jahre alt und besucht den Kindergarten. Seitdem arbeiten Christian und seine Frau jeweils zu 75 Prozent, er bleibt montags und dienstags bei Simon, seine Frau die anderen zwei Arbeitstage. Schon nach den sieben Monaten regulärem Mutterschaftsurlaub nahm Christian ein halbes Jahr Elternzeit und entschied sich dann für eine Teilzeitstelle.

„Ein Baby kann man nicht einen Moment alleine lassen“, erzählt er. „Besonders anstrengend war es, wenn Simon krank wurde oder nicht einschlafen konnte.“ Natürlich gehört auch Wickeln zu den Aufgaben eines jungen Vaters, trotzdem genießt Christian die Zeit mit seinem Sohn. Mittlerweile kann er ihn auch alleine lassen, dann spielt er oft stundenlang Lego und blockiert das ganze Wohnzimmer.

Da Christian bei der Handelskammer Bozen, also im öffentlichen Dienst, arbeitet, hatte er die Möglichkeit für eine Teilzeit über fünf Jahre. Durch das Programm „Audit familieundberuf“ wird dieser Vertrag bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes verlängert. Sein Umfeld reagierte positiv auf seine Entscheidung, einzig einige Kollegen neckten ihn mit Kommentaren wie „das ist wie Urlaub“ oder „dann kannst du den ganzen Tag nur Kaffee trinken“. Er glaubt, dass wenige Väter zuhause bleiben, weil es hieße, Erfolg im Beruf aufzugeben. Außerdem verdient man nur noch die Hälfte, was für ihn selbst zwar bemerkbar, aber nie zu einem Problem wurde. Christian findet, dass die Familienpolitik eher ein gegenteiliges Erziehungsmodell fördert. Die Politik plädiert dafür, ein Kind in die Kita zu geben, anstatt es von den Eltern erziehen zu lassen. „Aber wer kann die Werte der Gesellschaft besser als die Eltern weitergeben?“ So bleibt Teil- oder Elternzeit ein Beitrag für die Gesellschaft, der nicht honoriert wird. Und dabei wäre er eine Investition in die Zukunft, die Spaß und Freude macht, findet er.

Dennoch geht es in die richtige Richtung. Vor allem im öffentlichen Dienst. In der Privatwirtschaft ist es weit schwieriger, eine Teilzeitstelle zu finden. Mein Vater erzählt von seinen Anstrengungen. Nach einem Jahr bei mir arbeitete er wieder Vollzeit. 2007 schloss meine Mutter ein berufsbegleitendes Studium in Bildungswissenschaften ab. Um ihr die Chance zu geben, den Beruf danach auch weiterhin ausüben zu können, entschied sich mein Vater ein weiteres Mal, zuhause zu bleiben.

Informationen zum Thema fand er wenige. Er blätterte Stellenanzeigen in Zeitungen durch, gab selbst Inserate auf und schrieb Betriebe direkt an. Da Konditoreien nach Saison arbeiten und nur selten Teilzeitstellen anbieten, sah er sich nach einer Tätigkeit um, bei der er sich die Arbeitszeit frei einteilen konnte. „Es war ein Glücksfall, die Hausmeister-Stelle im Gamperheim zu finden“, sagt er.

Meine Schwester Hanna und ich waren damals sechs und acht Jahre alt, sodass er sich vormittags, während wir in der Schule waren, dem Job widmete und nachmittags zuhause war. Die Sprechstunden erledigt er, vor allem in der Grundschule als einer von wenigen Männern. Auch manche Freundinnen, die ich nach Hause einlud, waren verwundert darüber, dass mein Vater das Mittagessen zubereitete.

Inzwischen kocht meine Mutter am Wochenende, meistens etwas Zeitaufwändiges. Ihr muss ich immer mit den Portionen helfen, während mein Vater genau weiß, wie viel meine Schwester und ich essen. Unter der Woche beginnt der Morgen mit dem gemeinsamen Frühstück und darauf folgen Arbeit oder Schule. Mittags erledigt mein Vater, meistens noch bevor er mit dem Rad nach Hause fährt, die Einkäufe. Zuhause angekommen, steht er schon am Herd. Um halb zwei kommt das Essen auf den Tisch. Danach Küche aufräumen, Spülmaschine einschalten, Abwasch erledigen. Immer wieder Wäsche waschen, bügeln, Badezimmer putzen. Vor allem diese Arbeiten frustrieren ihn und manchmal wünscht er sich, dass meine Mutter ihm mehr zur Hand ginge, wenn sie abends nach Hause kommt. So liegt meine Mutter manchmal müde auf dem Sofa und sieht fern, während mein Vater bügelt.

Was meinen Außenstehende dazu, dass der Mann den Haushalt führt? „Die Frauen sehen es sehr positiv“, lacht mein Vater. „Etwa, dass ich als Mann mit ihnen über Haushaltsarbeit reden kann.“ So sieht der Mann auch, was das tatsächlich bedeutet, nämlich „nicht nur putzen und Kaffee trinken“, und wie schwierig es ist, Beruf und Hausarbeit unter einen Hut zu bringen. Auch meine Mutter bekommt positive Rückmeldungen. „Du hast es leicht“, sagen manche Kolleginnen, „du hast ja den Erich daheim.“

Andere Männer hingegen meinten: „Warum gibst du deinen Beruf für so etwas auf?“ Und wieder andere bewundern ihn für den Mut, diesen Schritt zu wagen.
Denn laut einer Männerstudie vom Jahr 2010 wünschen sich 58,6 Prozent der Väter mehr Zeit mit der Familie und 65,5 Prozent mehr Zeit mit den Kindern. Trotzdem nutzen nur wenige Männer eine Möglichkeit wie Elternzeit, Teilzeit oder Vaterschaftsurlaub.

Warum bloß?
Beharrt die Gesellschaft auf dem klassischen Rollenbild oder fehlt es vielleicht auch an Sensibilisierung? Genau darum bemühen sich verschiedene Südtiroler Initiativen wie der Verein und die Sozialgenossenschaft „väter aktiv“. Das Büro liegt versteckt in den Meraner Lauben. Als ich für ein Interview dorthin komme, laufe ich erst an dem schmalen Aufgang vorbei. Treppen aus Stein führen mehrere Stockwerke nach oben. Michael Bockhorni, Geschäftsführer und Präsident der Sozialgenossenschaft, führt mich in einen Raum, in dem mehrere Tische zu einem T zusammengeschoben sind. Er erklärt mir ausführlich und begeistert, dass „väter aktiv“ Väter in verschiedenen Lebenslagen begleitet und unterstützt. Vom Papa-Werden, übers Papa-Sein bis zum Papa-Bleiben. Neben Veranstaltungen, bei denen die gemeinsame Zeit mit dem Kind im Mittelpunkt steht, konzentriert sich „väter aktiv“ auch auf Trennungsväter.

„Es ist nicht so, dass wir überrannt werden“, gesteht Michael Bockhorni. Der fehlende Zugang zum Thema liegt nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Politik. So gestaltete es sich schon seit der Gründung des Vereins im Jahr 2013 als schwierig, Zeit fürs Ehrenamt bei berufstätigen Vätern zu finden und Fördergelder kamen anfangs sehr spärlich. Seit 2016 ist der Verein eine Sozialgenossenschaft, das Personal wird somit bezahlt und größere Veranstaltungen können geplant werden.

Warum das mangelnde Interesse, warum bleiben so wenige Väter zuhause?

Erster Grund: die Arbeit. „Weil sie für Männer einen großen Stellenwert hat, haben sie oft Angst, dass der Chef oder die Kollegen blöd reden und das Fragen allein schon karriereschädigend sein kann.“ Natürlich gibt es Fälle von Absagen. Bei Frauen sei die Situation ähnlich. „Es ist leider so, dass viele Betriebe keine Rücksicht auf die Familie nehmen.“

Zweiter Grund: das Vertrauen der Partnerin. Möchte sie die Betreuung eines Kleinkindes überhaupt dem Mann übergeben? Kann sie sich damit abfinden, dass sie keine Vorrolle als Mutter spielt? „Und“, sagt Michael Bockhorni,

dritter Grund: „für viele ist es noch nicht vorstellbar.“ Manche glauben, dass sich an der Rollenverteilung nichts ändern würde, weil der Mann noch immer mehr verdient. „Eine Katze, die sich in den Schwanz beißt“, nennt es Michael Bockhorni. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass der Einkommensunterschied nicht zwischen Mann und Frau liegt, sondern darin, ob sie Kinder haben oder nicht. Wenn man es nun schaffen würde, dass der Vater ebenso selbstverständlich wie die Mutter zuhause bleibt, würde sich die Diskriminierung der Frau am Arbeitsplatz aufheben. Etwa wäre es dann egal, ob nun ein Mann oder eine Frau eine Führungsposition übernimmt, da beide irgendwann um des Kindes Willen aussetzen könnten.

Michael Bockhorni spricht aus Erfahrung. Er selbst ist bei seinen Kindern, mittlerweile 16 und 18 Jahre alt, in unterschiedlichen Abständen zuhause geblieben.
Den Vätern in Beratung erklärt er, was ein Kind mit sich bringt. „Anfangs ist es eine Riesenumstellung.“ Für Hobbys oder Freunde findet man nur noch wenig Zeit. Aber dafür erlebt man genügend beglückende Momente: „So ein warmes kleines Etwas da zu haben, duftend weiche Haut“, schwärmt er und wiegt ein unsichtbares Kind in seinen Händen.

Natürlich läuft nicht alles immer so idyllisch, wie es auf den ersten Blick wirkt. Mein Vater bügelt manchmal mürrisch oder bereitet genervt das Abendessen vor, weil meine Mutter noch nicht zuhause ist. Ich warte ungeduldig auf sie, weil sie mir Schreibutensilien mitbringen soll. Obwohl meine Schwester und ich selten mit meinem Vater streiten, sind wir uns nicht immer einig. „Ich habe euch schon oft gesagt: Könnt ihr eure Wäsche nicht sofort sortieren?“, beschwert er sich öfters beim Waschen oder seufzt genervt, wenn wir unsere Arbeiten immer weiter hinausschieben. Aber welche Familie kennt solche Diskussionen nicht?

Dass alle Streitigkeiten durch die schönen Augenblicke aufgehoben werden, darin sind sich mein Vater, Christian und Michael Bockhorni einig. Die gemeinsame Zeit kann man später nicht nachholen. Und nach und nach begreifen das immer mehr Väter. Christian erzählt mir etwa, dass in seinem Bekanntenkreis auch einige Männer die Chance ergriffen haben und zuhause bleiben. Er lacht: „Von denen sagt niemand mehr, dass man nur noch Kaffee trinkt.“

Text: Lena Wopfner Fotos: Hannah Matzoll